Wo die Chinesen essen

Quelle: Astrid Karger

Die Speisen der meisten chinesischen Restaurants sind an den europäischen Geschmack angepasst. Wer die originale Küche aus dem Land des Lächelns kennenlernen möchte, sollte das China Restaurant in der Saarbrücker Hohenzollernstraße ausprobieren.

Das Haus hieß schon immer China Restaurant. Nicht „Zum Goldenen Drachen“ oder „Bejing“. Meine erste Begegnung mit dem China Restaurant in der Alt-Saarbrücker Hohenzollernstraße hatte ich 1960 als Vierjähriger. Aber nicht im Restaurant, sondern im Kindergarten. Ich war damals dort täglich in der Gärtnerstraße. Genau wie die kleine Tochter der damaligen Betreiber, Tschi-Mai. Meine Mutter erzählte mir später oft noch, wie gerne ich in den Kindergarten ging. Wegen Tschi-Mai, sie saß nämlich in der Sitzgruppe neben mir.

Die authentische chinesische Küche lernte ich erst 1989 kennen. Damals besuchte ich mit einer Reisegruppe des Berliner Veranstalters „Lernidee Reisen“ das Riesenreich. Mit diesem Veranstalter erlebten wir China anders, als mit einem großen Reiseunternehmen. Wir konnten so ein klein wenig hinter die Kulissen schauen. Am 3. Juni 1989 schlichen wir uns mit einigen politisch Interessierten der Gruppe heimlich zum Tiananmen-Platz, dem Platz des Himmlischen Friedens. Die chinesische Reiseführerin sagte uns vorher, da könnten wir nicht hin. Der Platz sei überschwemmt. War er auch, nur anders. Mit den Idealen einer freiheitlichen Gesellschaft. Dort erlebten wir „Woodstock“ auf Chinesisch. Musik aus klirrenden Lautsprechern und flammende Reden. Studenten protestierten für ein wenig mehr Freiheit. Als wir abends Peking verließen, ahnte niemand, dass dort in der darauffolgenden Nacht ein schreckliches Blutbad stattfinden sollte.

Foto:A.K.
Foto:A.K.

Was ich damals in dem großen Land lernte, war, wie Chinesen wirklich essen. Das hat mit der europäischen Variante, die ich vorher in Deutschland kennen lernte, wenig zu tun. In China saßen sie immer an einem runden Tisch, mit einer drehbaren Platte in der Mitte. Zuerst wurden auf kleinen Tellern Rohkost und Salate serviert, danach Gemüse und Meeresfrüchte. Die Teller, groß wie unsere Kuchenteller, wurden im Laufe des Services immer weiter übereinander gestellt. Es folgten Fischkreationen, weißes Fleisch, rotes Fleisch. Reis gab es immer separat in großen Schüsseln. Am Ende gab es eine Suppe. Solch ein Essen dauerte, wurde oft von ein paar Gläsern Reiswein begleitet. Ansonsten Wasser, viel Wasser. Oder Grüner Tee.

Viele Asiaten essen in Gruppen anders als Europäer. Bei uns ist es üblich, dass jeder für sich bestellt. Asiaten, völlig gleich, ob Thais, Vietnamesen oder Chinesen, bestellen immer ein paar Vorspeisen und Hauptgerichte. Entweder bestellt der Tischälteste oder nach Absprache. Jeder kann sich dann nehmen, was er möchte. Es gibt keine Einzelbestellungen.

Das Restaurant in der Saarbrücker Hohenzollernstraße existiert inzwischen seit mehr als 50 Jahren. In der Vergangenheit wurde dort so gekocht, wie es die deutsche Kundschaft mag. Das hat sich nun geändert, seit Yi De Zhang und seine Frau Miao Wei Chen das Haus betreiben. Sie stammen aus der Nähe von Shanghai und kamen 1993 nach Stuttgart. Dort arbeitete er in einem chinesischen Restaurant in der Küche. 2010 kamen sie nach Saarbrücken. „Anfangs war es hier ganz schwer. Das Restaurant existierte bereits seit mehr als 50 Jahren. Bei den letzten Pächtern lief es nicht mehr gut. Nach unserer Übernahme versuchten wir auch, chinesische Küche anzubieten, wie die Deutschen sie mögen. Mit Buffet und so. Wir verlangten auch die Preise wie in Stuttgart. Doch das klappte nicht“, erzählt mir der Koch Yi De Zhang.

Also musste er was ändern. Das x-te Lokal mit dem gleichen Angebot in der Landeshauptstadt interessierte die Gäste nicht. Er erfuhr von Chinesen in Saarbrücken, dass diese hin und wieder nach Frankfurt fuhren, um die authentische Küche ihrer Heimat zu essen. Sie beschlossen, die Küche chinesischer zu servieren. Er lächelt: „Anfangs kamen aber nur Chinesen zu uns. Das reichte aber nicht. Diese brachten dann aber deutsche Arbeitskollegen mit. Die Deutschen kamen dann mit Freunden und Familie, so konnte es gehen.“

Trotzdem gibt es hier auch weiterhin ein Buffet für ein paar Euro, damit Gäste mit nicht so langer Mittagspause nicht verloren gehen. Viele von denen, so war die Erfahrung hier im Haus, kommen dann am Wochenende oder abends mit ihrer Familie zu einem größeren Essen.
Yi De Zhang kocht hier alles frisch, direkt aus dem Wok. Und das braucht seine Zeit. Sie sollten etwas Zeit mitbringen, wenn Sie seine großartige Küche kennen lernen wollen. Seine chinesischen Produkte bezieht er aus dem Großhandel in Oberhausen und Mannheim. Gemüse und andere Viktualien kauft er in Saarbrücken. Seine Frau Miao Wei Chen berät Gäste gerne am Tisch. Ein ehemaliger Arbeitskollege erzählte mir vor einigen Wochen, wie toll er den Laden findet. Auch er kam mittags zum schnellen Essen hier vorbei. Doch ziemlich schnell merkte er, dass die chinesischen Gäste à la carte bestellen. So kam er an einem Wochenende mit der Familie mal vorbei. Seither schwört er auf das Restaurant. Auch an Weihnachten ging er mit Familie hierher – was Besseres konnte ihnen nicht passieren, sagt er.

Vor kurzem ging ich auch zum wiederholten Mal mittags dort essen. Wenn man vor dem Restaurant steht, kann man von außen die zwei Räume sehen, in denen serviert wird. Und ich musste schmunzeln: links im Raum nur Europäer mit dem Mittagsbuffet. Im anderen Raum saßen nur Asiaten, die gemütlich die Spezialitäten des Hauses bestellten. Ich ging in den Raum, in dem die Asiaten saßen. Zwei Frauen hatten sich ein chinesisches Fondue bestellt – das ist die Variante, bei der der Topf in der Mitte mit kochender Hühnerbrühe serviert wird. Um diesen Topf mindestens zehn Teller mit verschiedenen Spezialitäten, die es zu garen galt. Nebenan saß eine Gruppe, die den ganzen Tisch mit Vorspeisen und Hauptgängen vollgestellt hatte.

Kurz nach mir kam ein Saarbrücker Geschäftsmann in diesen Raum, mit dem ich ins Gespräch kam. Er sagte mir: „Ich wollte doch mal sehen, warum eine ,Langnase‘ da zwischen den Asiaten sitzt. Doch, jetzt weiß ich es.“ Und deutete auf meinen Tisch mit den zahlreichen kleinen Tellern…